Es geht los. Na gut, noch nicht richtig, aber die Saat ist gesäht, lange kann es nicht mehr dauern.
Aber lasst mich von vorn beginnen:
Es geschah im Oktober 2016, da verliebte ich mich zum ersten Mal – in ein Haus. In einer Immobilienanzeige (s. Foto) hatte ich es gefunden, ein typisch kanarisches Häuschen in Mala, einem 500-Seelen-Dorf ohne Wikipedia-Eintrag im Bezirk Haría, in dem wir früher nie, nie, nie leben wollten, da er so weit ab vom Schuss ist, der mit heute aber – nach vier Jahren Dauerbeschallung – gerade deswegen wie ein Traum erscheint. Das Grundstück wurde mit einer beschaulichen Größe von 530 m² angegeben, das Haus selbst mit 200 m², die Fotos sprachen Bände. Und ich daraufhin mit Ollie. Der war so gar nicht damit einverstanden, hinaus aufs Land zu ziehen, in so ein winziges Kaff, wo zu viele Deutsche wohnen und sogar der Teleclub (sozusagen das Dorfgemeinschaftshaus) von einem Deutschen betrieben wird. Wir waren vor damals noch drei Jahren nicht umsonst vom doppelt so großen Punta Mujeres in den Touristenort Costa Teguise umgezogen. Und dennoch. Schnell fand ich über Google Earth heraus, wo dieses Haus stand, und umging auf diese Weise (nicht weitererzählen!) das teure Immobilienbüro.
Ich schrieb eine Nachricht an die Telefonnummer, die auf einem längst ausgeblichenem Schild an der Außenmauer des Hauses notiert war.
Der Besitzer antwortete nur einen Tag später, und wir machten einen Termin aus für eine Besichtigung.
Der erste Eindruck war ernüchternd. Wirkte das Haus von der Straße aus schon recht heruntergekommen, wurde es im „Garten“ nicht besser. Sand und schwarzer Schotter (Picón) überwogen, nur hier und da ein paar Sträucher, mickrige Geranienpflänzchen, ein paar Agaven. Dort drüben eine unnütze, etwa 15m²-große Bodenplatte aus Beton. Eine Era, ein ehemaliger Dreschplatz, erklärte man uns. Das war durchaus interessant, aber dadurch nicht weniger hässlich.
Der Eigentümer, in Zukunft V oder (noch später) ehemaliger Hausbesitzer genannt, ein liebenswerter, kleiner alter Herr mit weißem Haar und leicht gebogener Nase, lief die Grenzen des Geländes ab. Kleine Mäuerchen aus Lavasteinen und dornige Sträucher markierten sie, Nachbars Hühner beobachteten uns schweigend, das alles umrahmt von einem Meer von Kakteen.
Die Palme zwischen den Grundstücken gefiel mir.
Dann betraten wir zum allerersten Mal den ersten Patio. Der bröckelnde Betonboden und die abgeplatzte Farbe an den Wänden ließen das Willkommensgefühl im Keim ersticken, doch dann ein kleines Detail: ein Ring aus Metall, der aus der Wand herausschaute. „Hier wurde früher der Esel angebunden“, nuschelte V. mit kanarischer Zunge, mein Herz machte einen kleinen Hopser. Ein Esel! Das Haus wäre etwa 100 Jahre alt, erklärte er dann, und hätte seiner Mutter gehört, die vor kurzer Zeit verstorben sei. Sie wäre hier geboren, wie auch er und seine Brüder, die nun Haus und Gelände verkaufen wollten. „Und hier“, wir betraten den muffigen Rachen eines fensterlosen Monsters, „hier wurden die Kamele gefüttert.“ Der Hausbesitzer deutete auf ein paar Steintröge. Ich sah die weichen Lippen der großen Tiere vor mir, stellte sie mir vor, wie sie Haferflocken mit ihren großen Backenzähnen zermalmten, habe ja keine Ahnung, was Kamele so fressen.
Wir verließen den von V. erstaunlicherweise als Bodega bezeichneten Raum und durchquerten die zweite Tür, die aus dem Patio führte.
Wir folgten ihm durch einen Flur. Links davon, „Natürlich gibt es fließend Wasser“, ging ein kleines Badezimmer mit Dusche ab, es folgte ein Steinding, an dem früher die Wäsche gewaschen wurde.
Dann ein erneut fensterloser Raum, der durch seine Höhe bestach, passierten dabei herrliche, zu niedrige und altersschwache Türen. Sogar ich musste mich ein wenig bücken. V. nicht.
Als wir schließlich den kleinen Patio erreichten, war es um mich geschehen. Die lila, weiß und rosa blühenden Pflanzen in den Ecken und in kleinen Töpfen, die steinernen Sitzbänke, die Teil der Wände waren, der schiefe, kaputte und dadurch unglaublich charismatische Boden, die grünen Türrahmen, durch die das Sonnenlicht alle umliegenden Räume beschien. Die Sonne, die das alles in eine Wirklichkeit verschob, die noch nicht, aber doch schon mal war und es wieder sein könnte, das alles ließ mein Herz höher schlagen und ließ in mir die Gewissheit wachsen, dass ich das Haus haben musste.
Ollie musste das nicht.
Die Besichtigung ging weiter, nun war es mir fast egal, was da noch für Räume kamen. Ja, klar, die Küche war etwas oll und richtig, das, was auf den Fotos ausgesehen hatte wie Parkett, war kaputtes Linoleum, die Wände verkleidet mit Plastikpaneelen in Holzoptik, die Mauern dahinter, darüber und darunter feucht, und der Putz darauf blühte und löste sich von den Wänden, die krumm und schief gemauert waren. Der Stromzähler war ein Relikt aus den 40ern, die Kabel über Putz verlegt. Man brauchte nicht viel für eine Steckdose und eine Deckenlampe pro Raum.
Nachdem wir uns verabschiedet hatten, folgte mein obligatorisches: „Und?“ Ich strahlte über beide Ohren, das glaube ich zumindest, es fühlte sich nämlich genau so an, Ollie dagegen schaute starr nach vorne. Vielleicht, weil er den Wagen fuhr. „Also? Was denkste?“ Ich ballte die Fäuste. Was für ein Haus!
„Hmn.“
Er war nicht begeistert, so gar nicht, so ganz und gar überhaupt nicht. Das Haus sei kaputt, eine Ruine, sagte er und: „Mala, das ist totale Pampa. Außerdem können wir uns das nie leisten.“ Es folgte ein Gespräch, in dem sich meine rosarote Traumwolke (auch sie besaß kleine, grüne Türen und einen Patio) in Luft auflöste.
Ein dünner Schleier war noch vorhanden, als ich eine Woche später meiner Freundin Sigrid davon berichtete. „Als ich in diesem Patio stand, lief mir vor Glück eine Träne über die Wange“, gestand ich, und das war Grund genug für sie zu sagen: „Das Haus muss ich sehen.“
Ohne daran zu glauben, dass ich meinen Mann je davon überzeugen könnte, mit mir eine Bruchbude zu renovieren und in der besagten Pampa zu wohnen, zeigte ich ihr das Haus. Natürlich nur von außen, einen Termin mit dem Besitzer zu machen, wäre ein falsches Zeichen gewesen und Zeitverschwendung. Denn mir war klar, dass ich dort nie hinziehen würde. Aufs Land. Dort, wo uns der frische Wind um die Nase blies, er roch nach Meer und Norden, dort, wo man still auf einem Mäuerchen sitzen konnte, und einem dieselbe Stille antwortete.
Und wieder war das Gefühl da. Ich wollte das Haus haben. Um jeden Preis.
Eine Frau kam vorbei, die Nachbarin, mit einem kleinen Hund. Wir grüßten, sie grüßte freundlich zurück, erst auf Englisch, wie so oft, freute sich, als wir auf Spanisch antworteten, wunderte sich dann vermutlich, wer da wohl am Straßenrand saß, was die beiden Frauen dort zu suchen hatten.
„Meinst du nicht, Ollie würde …?“ setzte Sigrid an. Ich verzog den Mund. „Nee, nie.“
Dass es dann doch anders kam, ist das Ergebnis langer Diskussionen, verzweifelter Tränen und einem Sturkopf, der einen anderen Sturkopf überzeugen konnte, sich mit dem Ganzen doch wenigstens mal ihr zuliebe näher zu befassen. Wir waren schon so lange auf der Suche nach einer anderen Wohnung, doch immer gab es etwas daran auszusetzen, und hier, Mensch, daraus könnte man doch was machen, etwas Eigenes, etwas Besonderes. Und ich, durch die OP lärmempfindlich geworden, hätte meine Ruhe und könnte endlich wieder ohne Ohropax schlafen. Und würde nicht jeden Tag über die laute Umgebung meckern. Das Argument saß.
Also holten wir uns Angebote von Handwerkern ein.
Den Ärger mit denen erspare ich Euch, das würde drei Seiten füllen und nur schlechte Laune machen – mir beim Schreiben und Euch beim Lesen, und die kommt schon noch früh genug. Letztendlich lief es auf eine weitere Diskussion hinaus, dass wir uns das alles nie und nimmer leisten könnten, dann darauf, dass wir uns einigten, ganz viel selbst zu machen, um Geld zu sparen und schlussendlich auf den Anruf bei V., dass wir uns nun doch endlich dazu entschieden haben, das Haus zu kaufen.
Er lachte. Es gab plötzlich zwei weitere Interessenten, das hatte ihm zumindest das Immobilienbüro versprochen, und die würden das Haus kaufen.
Ich war selten im Leben so zerstört gewesen wie an diesem Tag.
Doch wieder lief die Geschichte nicht geradeaus, das scheint sie nie zu tun, und meistens ist das ja auch ganz gut so. Hier jedenfalls war es das. V. rief zwei, drei Wochen später an, die beiden Engländer, die das Geld bis zum Tag X hatten überweisen wollen, hätten nicht bezahlt, er fühlte sich (zurecht) verscheißert, und bot nun uns das Haus zum Kauf an. Wir willigten ein. Trafen uns im Teleclub in Mala. Besiegelten den Vorvertrag mit Unterschrift und Handschlag.
(Dass es vorkommen kann, dass jemand nicht weiß, wie sein eigener Nachname geschrieben wird – ob mit oder ohne t am Ende –, das erfuhr ich an diesem Tag, das war mir neu. Doch V. war es nicht neu, nur egal. Seine Mutter, ja, die hätte ein t am Ende, aber in seinem Ausweis stünde es ohne. In einem anderen Dokument wiederum mit. „Pués…“ Er zuckte mit den Schultern, und auch uns sollte es fortan schnuppe sein.)
Dass es von diesem Tag an noch 10 Monate dauern würde, bis wir den Kaufvertrag unterschreiben würden, ahnte noch niemand.
Was folgte war ein Durcheinander aus Unstimmigkeiten, Entschuldigungen, Verzögerungen und Gottesvergleichen, oder kurz: Die Dokumente mussten korrigiert werden. Das sollte eigentlich nicht allzu schwer sein, doch es stellte sich als eine wahre Odyssee heraus.
Aber worum ging es dabei?
Das Grundstück, etwa einhundert Jahre im Besitz der Familie, wurde in dieser Zeit stetig erweitert. Mal wurden fünfzig Quadratmeter hinzugekauft, mal dreißig, dann wieder hundert, und jedes Mal wurde ein Eintrag im Register vorgenommen. Und da man es hier damals (und – ganz ehrlich – auch heute) nie so genau nahm, trug man das in die Papiere ein, von dem man glaubte, dass es irgendwie schon so hinhauen könnte. Etwa: Dazugekommen sind dreihundertdreißig Quadratmeter, vielleicht dreihundertvierzig, runden wir doch einfach auf, dann noch mal zehn, oder zwanzig ein paar Jahre später, na, vielleicht auch nur fünf, wer kann das schon so genau sagen. Dort von der Palme bis zu dem Mäuerchen, mehr ist es nicht.
Und dann war da auch noch die Teilung des Grundstücks in zwei Hälften. Wann die stattfand, weiß ich nicht, doch die eine gehörte fortan der Nichte des Eigentümers, die andere ihm und seinen Brüdern. Und auch diese Teilung basierte auf den Larifari-Schätzungen der letzten einhundert Jahre.
Nun kann man sich vorstellen, dass Grundbucheintragungen, die auf Larifari-Schätzungen basieren, nicht ganz so genau sein können. In unserem Falle machte es eine Differenz von sage und schreibe fünfhundert Quadratmetern aus.
Das Gelände war tatsächlich doppelt so groß wie auf dem Papier.
Das waren die oben erwähnten Unstimmigkeiten.
Die waren zu klären.
Das Grundstück wurde neu vermessen, wir fragten auf dem Amt nach. Tut uns leid, da können wir Ihnen nicht weiterhelfen, niemand war zuständig, und wenn er es war, wie zum Beispiel der Architekt vom Amt, war er zu den wöchentlichen Sprechstunden nicht da. Es dauerte.
Eine Idee war ein Zusatz zum Kaufvertrag, in dem V. und seine Brüder versprechen sollten, dieses Wirrwarr zu entheddern, während wir bereits mit der Renovierung beginnen würden. Doch sowohl seine Anwältin als auch der Notar hinderten uns daran und bestanden auf eine Klärung der Besitzverhältnisse. Das war gut und richtig, nur kostete es mich 3.285, vielleicht 3.870 Nerven, wer nimmt das schon so genau? und uns alle acht Monate unseres Lebens.
Das Grundstück wurde ein weiteres Mal neu vermessen, die Akten miteinander verglichen, die Nachbarn befragt, ob sie Einwände gegen die seit ewigen Zeiten feststehenden Grenzen hätten, dann waren Ferien. Tatsächlich war das Amt den vollen Monat August geschlossen.
Langsam wurde ich gnatschig.
Doch auch im September passierte nichts, immer hieß es, man wäre dabei, es fehlte nur noch eine Unterschrift oder man müsste es nur noch durch die Registrierung bringen, was weiß denn ich. Wir warteten. Und meine Nerven lagen blank.
Ich schaffte es in dieser Zeit, das ist nun einige Wochen her, dass ich in meinem Ärger sogar V.’s Anwältin beleidigte, indem ich die ganze Sache als „farsa“ bezeichnete. Laut Pons ist eine farsa im Spanischen wie im Deutschen eine Farce. Etwas Lächerliches, ein Lustspiel ohne Witz, eine Groteske, eine Posse, irgendwas in diese Richtung. Und das war es ja auch! Es fehlte nur noch eine einzige Unterschrift, und das seit Wochen. Von einem Mann – einer „persona muy desagradable“ (=sehr unangenehme Person), wie die Anwältin selbst den Architekten vom Amt bezeichtete –, der sich offensichtlich wie ein Gott fühlte und es nicht für nötig hielt, unseren Vorgang zu bearbeiten, der Besseres zu tun hatte, als sich mit uns kleinen Leuten zu befassen.
Dummerweise ist eine farsa in Spanien zwar auch so ein Lustspiel, doch benutzt man das Wort heute viel eher als Synonym für Betrug, und so musste ich mich mehrfach für meine Unterstellung entschuldigen.
Letzte Woche traf V. dann den Bürgermeister von Haría auf einer Fiesta. Er sprach ihn auf die Probleme an und bekam für den übernächsten Tag einen Termin.
Am Montag vergangener Woche versprach man ihm, dass die Unterschrift innerhalb einer Woche da wäre.
Heute ist Dienstag (hier kein Feiertag).
Aber es ist ja Weihnachten. Wir haben Verständnis, wenn es mal wieder etwas länger dauert.
Diene Cousin Heike (kauth) Mackriss in Canada 🙂
What a beautiful spot
Yes, absolutely. It IS a wonderful spot. Let’s see, when we can be there.
Ralf Kauth .. another canadian cousin … confirmation to follow!
Confirmed! 😀